Altersbedingte Makuladegeneration tritt viel früher auf als bisher angenommen!.
Korb CA et al. Prevalence of age-related macular degeneration in a large European cohort: Results from the population-based Gutenberg Health Study. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol. 2014 Feb 25. [Epub ahead of print]
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Zu diesem Thema ein Text von 2013, erschienen in LUXLUMINA, dem Schweizer Fachmagazin über Lichtdesign und Lichtplanung.:
Gibt es gesundes Kunstlicht?
von Alexander Wunsch
Einleitung
Die Welt der künstlichen Beleuchtung befindet sich in einem Umbruch, wie er stärker kaum vorstellbar ist. Die LED scheint die Lösung aller Beleuchtungsprobleme zu sein, seit die Allgebrauchsglühlampe ausgephast wurde und die Giftstoffproblematik der Energiesparlampen zunehmend in den Fokus der Kritik geraten ist. Die grundlegenden Änderungen in der Welt des Kunstlichts haben als wichtigste Triebfeder die Energieeffizienz. Ist die LED wirklich die Super-Lichtquelle, für die sie gehalten wird? Kann sie in der Lichtqualität mit ihren Vorgängerinnen mithalten? Erzeugt sie eventuell sogar ein wirklich gesundes Kunstlicht oder ist doch eher Vorsicht angebracht?
Biokompatibles Licht
Um die Fragen nach der biologischen Verträglichkeit von Kunstlicht zu beantworten, ist es nötig, eine Reihe von Lichtparametern zu betrachten, die bislang in der Lichttechnik höchstens ein Schattendasein führen und in den Normenwerken keine Berücksichtigung finden. Zweifelsohne sind gute Weißlicht-LED einer Glühlampe in puncto Lebensdauer, Robustheit und Energieeffizienz zunächst überlegen. Was aber ist mit der Farbwiedergabe, dem Lichtflimmern, elektromagnetischer Störstrahlung durch digitale Vorschaltgeräte und natürlichem Spektralverlauf? Was hat es mit der biologischen Wirkung dieses neuartigen Kunstlichts ohne Wärmeanteil auf sich?
Was ist Lichtqualität?
Lichttechnik und Lichtbiologie haben unterschiedliche Herangehensweisen an den Faktor Lichtqualität. Die Lichttechnik unterteilt den Bereich des optischen Spektrums in einzelne Abschnitte und betrachtet diese getrennt voneinander in Form von Wirkspektren, z.B. für die Vitamin D-Bildung (UVB), den Sehvorgang (380 nm bis 780 nm) oder für die Wärmetherapie (Infrarot). Für jeden Einsatzbereich gibt es andere Lichtquellen, die auf Energieeffizienz und möglichst genaues Abdecken des jeweiligen Wirkungsbereiches getrimmt werden. Die „Qualität“ der jeweiligen Lichtquelle wird dann anhand weniger lichttechnischer Parameter ermittelt. Die Photobiologie (oder Lichtbiologie) sollte eigentlich einen anderen Weg wählen und neben der Definition einzelner Wirkspektren auch die jeweiligen Abschnitte in ihrem Zusammenwirken untersuchen, denn das Licht der Sonne ist aus einem charakteristischen Gemisch vieler Wirkbereiche zusammengesetzt, die sich teilweise in ihrer biologischen Wirkung verstärken oder kompensieren – auch hier ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Die Lichttechnik hat sich im letzten Jahrzehnt das Thema „Licht und Gesundheit“ auf die Fahnen geschrieben und bei zahlreichen Kongressen für sich beansprucht. Bevor sie dem Anspruch jedoch gerecht werden kann, Lichtquellen zu konstruieren, die der Gesundheit zuträglich sind, muss sie sich erst von ihrer monokausalen Betrachtungsweise verabschieden und die Synergien berücksichtigen, die das Sonnenlicht (aber auch die Abwesenheit von Licht) in biologischen Systemen bewirkt.
Biologische Verträglichkeit von Licht
Die Frage nach der biologischen Verträglichkeit sowie Toxizität von Licht kam bereits in der Antike auf (z.B. Lukrez, 1. Jahrh. v. Chr.). Damals war es in erster Linie das Sonnenlicht, das im Mittelpunkt des Interesses stand. In der heutigen Zeit verbringen die Menschen über 90 % ihrer Lebenszeit in geschlossenen Räumen, womit das künstlich erzeugte Licht den wichtigsten Strahlungseinfluss darstellt. Moderne Kunstlichtquellen unterscheiden sich in ihrer Spektralcharakteristik grundlegend von natürlichen Lichtquellen. Alle natürlichen Lichtquellen (Glühwürmchen ausgenommen) folgen in ihrer Spektralverteilung dem Planckschen Kurvenzug, sie sind thermische Lichtquellen, deren Strahlungsgemisch die natürliche Allianz von Helligkeit und Wärme repräsentiert. Modernes Kunstlicht (sowie durch Fenster gefiltertes Tageslicht) hingegen weist zumeist eine nicht-thermische Strahlungscharakteristik auf, da das Energieeffizienzbestreben zu einer Eliminierung der Infrarot-Anteile führt, die in der Lichttechnik lediglich als Abfallstrahlung verstanden werden. Mit jeder neuen Kunstlichtquelle, die sich in ihrer Spektralverteilung so grundsätzlich von natürlichem Licht unterscheidet, muss eigentlich die Frage nach der biologischen Verträglichkeit erneut gestellt und eine befriedigende Antwort gefunden werden, insbesondere wenn man davon ausgeht, dass sich das Auge und Gesamtorganismus im Laufe der Evolution an die natürliche Strahlungsumgebung optimal adaptiert haben. In dieser zentralen Frage herrscht zwischen Lichttechnik und Lichtbiologie jedoch kein Konsens. Die Ingenieure fordern einen Beweis für die Aussage, der Mensch sei in seinen Lichtreaktionen an thermische Lichtquellen adaptiert. Dieser ist zwar wissenschaftlich kaum zu erbringen, dennoch haben die Lichtphysiologen gewichtige Argumente dafür, dass eine derartige Anpassung im Laufe der Evolution doch stattgefunden hat:
1. Die Empfindlichkeitskurve des menschlichen Auges für das photopische Sehen gipfelt im selben Wellenlängenbereich, in dem unser Zentralgestirn die stärkste Abstrahlung aufweist (ca. 555 nm).
2. Das Licht einer Kerze (ca. 2100 K) liegt in der Farbwiedergabe (CRI = 99) quasi dort, wo auch das Sonnenlicht (6500 K) gemessen wird (CRI = 100). Die Glühlampe (ca. 2700 K) stellt zwar eine Kunstlichtquelle dar, erzeugt aber ebenfalls ein natürliches Spektrum mit exzellenter Farbwiedergabe (CRI = 100). Praktisch alle Planckschen Strahler weisen über einen weiten Temperaturbereich eine exzellente Farbwiedergabe auf, die bisher von nicht-thermischen Strahlern nur in Sonderfällen erreicht wird.
Reduktion auf Wirkspektren
Die Lichttechnik betrachtet bei Licht für die Allgemeinbeleuchtung nur den Wellenlängenabschnitt zwischen 380 nm und 780 nm. Dies ist auch der Spektralbereich, der die Grundlage für die Energieeffizienzbetrachtung darstellt. Lichtwirkungen durch Ultraviolett sowie Infrarot werden hier von der Bewertung ausgeschlossen. Das Sonnenspektrum hingegen reicht vom kurzwelligen UV bis in den Infrarotbereich, wobei der Nahinfrarot-Anteil (700 nm – 1500 nm) über 40% der gesamten Strahlungsenergie ausmacht. Findet der Sehvorgang unter dem Einfluss natürlichen Lichtes statt, wirkt speziell im Nahinfrarot ein deutlich breitbandigeres Spektrum auf die Netzhaut ein als bei nicht-thermischer künstlicher Beleuchtung, die meistens keine längerwellige Strahlung als 630 nm aufweist. Die Ausgewogenheit von kurzwelligen und langwelligen Strahlungsanteilen ist insofern bedeutsam, dass sich die Wirkungen teilweise kompensieren: Kurzwelliges Licht stellt für Zellen einen Stressfaktor dar, der z.B. mit der Bildung von Sauerstoffradikalen einhergeht, wohingegen langwelliges Licht \> 630 nm zur Zellregeneration beiträgt und der negativen Wirkung von Sauerstoffradikalen entgegenwirken kann.
Nicht-thermisches Licht und Auge
Die Stelle des schärfsten Sehens in der Netzhaut (Makula lutea) befindet sich permanent in einem Zustand physiologischer Ischämie (Minderdurchblutung), da sie nicht direkt über Blutgefäße, sondern nur durch Diffusion versorgt wird. Dies ist bemerkenswert, da die Stoffwechselanforderungen hier sogar besonders hoch sind. Der funktionierende Stoffaustausch zwischen Photorezeptoren, Müllerzellen und retinalem Pigmentepithel ist nicht nur Grundvoraussetzung für den eigentlichen Sehvorgang, sondern auch für den lebenslangen Erhalt der komplexen Zellfunktionen und gutes Sehvermögen bis ins hohe Alter. Bei thermischen Lichtquellen, also Feuer, Glühlampe oder ungefiltertem Tageslicht, sorgt der immer vorhandene Nahinfrarot-Anteil für eine verstärkte Diffusion in der Stelle des schärfsten Sehens: Nahinfrarot-Strahlung versetzt die Wassermoleküle im Gewebe in eine Vibrationsbewegung, was den Stoffaustausch erleichtert, ähnlich, wie sich ein Stück Kandiszucker schneller auflöst, wenn man den Tee umrührt. Trifft aber das nicht-thermische Licht einer weißen LED auf die Netzhaut, so sind zum einen selbst bei Warmton-Exemplaren erhebliche Blauanteile im Spektrum vorhanden, die zu vermehrtem Zellstress in der Netzhaut führen – andererseits fehlen die regenerierenden langwelligen Rotanteile sowie der diffusionsverstärkende Nahinfrarotanteil. Die Blauanteile im Licht einer weißen LED reichen zwar meist nicht aus, im Auge eine akute Blaulichtschädigung hervorzurufen (Blue Light Hazard), können aber durchaus langfristig zu einer chronischen Blaulichtschädigung führen. Diese langfristige Schädigung der Netzhaut durch nicht-thermische Lichtquellen (also LED und Leuchtstofflampen) müsste eine andere Bezeichnung erhalten, z.B. Blue Light Impairment, um den Unterschied zwischen akuter Schädigung und chronischer Beeinträchtigung deutlich zu machen. Soweit ist die Augenheilkunde jedoch noch nicht, denn die meisten Augenärzte gehen noch davon aus, dass die wichtigste degenerative Augenerkrankung der heutigen Zeit, die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) höchstens durch Sonnenlicht, nicht aber durch Kunstlicht in der Entstehung begünstigt werden kann.
Ausblick
In erster Linie die europäische Lichtindustrie wehrt sich seit Jahrzehnten, die Fragestellung chronischer Gesundheitsbelastung durch Kunstlichtquellen systematisch und kritisch zu untersuchen. Während dem Problem der Blaulichtbelastung dieses Jahr in Japan ein ganzer Kongress gewidmet wurde, versucht die europäische Lichtindustrie, gerade diesen Blaulichtanteil als biologisch wertvoll zu klassifizieren und in die Normenwerke zu verankern. Die Unterdrückung des Regenerationshormons Melatonin wird als positiv und wünschenswert dargestellt und soll zum Qualitätsmerkmal „gesunden Kunstlichts“ erhoben werden. Nicht-thermische Lichtquellen leisten genau das: Sie weisen einen erhöhten Blauanteil auf. Man braucht also das Produkt nicht an die Anforderungen anpassen, sondern man passt die Normen an die Produkteigenschaften an. In Asien geht man einen anderen Weg: Patentrecherchen ergeben eine interessante Aktivität in die Richtung, wie man Bildschirme und energieeffiziente Lichtquellen so verbessern kann, dass sie den biologischen Erfordernissen gerecht werden und weder Hormonsystem noch Auge unnötigen Belastungen aussetzen. Aber es gibt auch Hoffnung für Europa: Die französische Gesundheitsbehörde ANSES hat 2011 einen umfangreichen Bericht verfasst und veröffentlicht, der davon abrät, LED-Licht im Privathaushalt einzusetzen und vor allem nicht dort, wo sich Kinder aufhalten. Diese haben eine für kurzwelliges Licht noch vollständig durchlässige Augenlinse und könnten daher bei frühzeitiger Belastung mit blaulichtverstärkten Lichtquellen ein erhöhtes Risiko tragen, frühzeitig eine Makuladegeneration zu entwickeln.
Literatur:
Behar-Cohen, F., et al., Light-emitting diodes (LED) for domestic lighting: Any risks for the eye?, Progress in Retinal and Eye Research (2011), doi:10.1016/j.preteyeres.2011.04.002