Ein Basler Lichtforscher-Team zeigt, wie man am Arbeitsplatz länger munter bleibt. Versuchspersonen sind auf Dauer aufmerksamer, wenn sie an Computer-Monitoren mit erhöhtem Blaulicht-Anteil arbeiten.
Schweizer Fernsehen: SF Videoportal – Einstein – Mit Blaulicht länger munter.
Anmerkungen:
Bereits die Anmoderation beinhaltet eine Verdrehung der physiologschen Grundlagen, dort heißt es nämlich wörtlich:
„Mit Blaulicht assoziieren wir Notfall, Feuerwehr und Polizei (….). Medizinisch gesehen ist blaues Licht das pure Gegenteil von Notfall und Stress. Blaues Licht tut uns gut, das ist eine Erkenntnis aus der Lichttherapie. Im blauen Licht werden wir weniger müde, da läuft das Arbeiten besser…“
Eine harmloser klingende Umschreibung von Lichtdoping (Produktivitätssteigerung durch Lichtstimulation) habe ich bisher nocht nicht gehört…
Warum läuft das Arbeiten unter dem Einfluss von hellem, blauem Licht besser? Gerade weil dadurch im Organismus eine systemische Stressreaktion ausgelöst wird. Die beteiligten Hormone, z.B. Adrenalin und Cortisol, sorgen für Anpassungsreaktionen im Herz-Kreislauf-System (Erhöhung von Pulsfrequenz und Blutdruck) sowie im Immunsystem (Dämpfung der Immunantwort). In der Natur ist diese Reaktion durchaus sinnvoll, denn helles blaues Licht kommt hier immer nur im Zusammenhang mit vermehrter Sonnenlichtstrahlung vor. Da Sonnenlicht auch potentiell schädlichen Einfluss nehmen kann (z.B. Sonnenbrand), muss sich der Körper rechtzeitig dagegen wappnen. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol wirken gegen die meisten Symptome des Sonnenbrandes (wie Rötung, Schmerzen, Entzündung, Verlagerung von Blut aus dem Körperinneren in die äußeren Kapillarschichten der Haut), weshalb bei medizinischer Behandlung z.B. auch cortisonhaltige Cremes und Sprays Verwendung finden.
Diese Zusammenhänge scheinen dem Studienleiter allerdings nicht bekannt zu sein, denn er findet es „komisch“ – äh – „interessant“, dass die Sensorzellen für die non-visuellen Lichtwirkungen in der Netzhaut des Auges (die er komischerweise „Sehzellen“ nennt, obwoh diese mit dem Sehen nichts zu tun haben!) ausgerechnet auf blaues Licht reagieren. Das ist keinesfalls komisch, sondern vielmehr logisch, denn blaues Licht tritt unter natürlichen Bedingungen immer dann verstärkt auf, wenn auch die unsichtbare Ultraviolett-Strahlung zunimmt. Diese ist zwar unsichtbar, aber für die wichtigsten, bei Überdosierung auch (lebens-)gefährlichen Effekte von Sonnenlicht verantwortlich. Da UV-Gehalt und Blauanteil im Sonnenlicht über die Planck´sche Strahlungskurve in einem klar definierten Verhältnis zueinander stehen, war es ein cleverer Kunstgriff der Evolution, über die Ermittlung des Blauanteils in hellem Licht auf den wahrscheinlichen Gehalt an UV-Strahlung zu extrapolieren.
Häufigeres Blinzeln (etwa ein Drittel mehr) an Bildschirmen mit erhöhtem Blauanteil wird hier als Zeichen für erhöhte Aufmerksamkeit gewertet. Man könnte auch sagen, dies ist ein Zeichen für vermehrten Stress. Zwar ist auch bekannt, dass vermindertes Augenblinzeln zu trockenen Augen führen kann, dennoch kann man daraus nicht schließen, dass eine Erhöhung der Blinzelfrequenz ein gutes Zeichen ist. Das Problem bei der Bildschirmarbeit ist u. A. die starre Augenposition, schon das führt zu einer Belastung der Stelle des schärfsten Sehens: Wir haben viel mehr Netzhautfläche, als wir bei der Bildschirmarbeit nutzen. Die ständige Fokussierung führt zu einer Überlastung der Makula und zu einer Reduktion der Augenbewegungen insgesamt. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Augenmuskeln für die Bewegung des Augapfels sowie die Muskeln für Pupillen- und Linsenverstellung sehr einseitig und monoton beansprucht werden. Daher sollte bei Bildschirmarbeit regelmäßig alle 20 Minuten eine Pause eingelegt werden, in der man die Augen dadurch entlastet, dass man sie in verschiedene Blickrichtungen bewegt und versucht, dabei nicht zu fokussieren, denn über 95% unserer Netzhautfläche ist für peripheres Sehen gemacht…
Der Ansatz der Untersuchung, die in Basel durchgeführt wird, ist somit schon hier als problematisch anzusehen, denn die Versuchspersonen sitzen 6 Stunden vor dem Bildschirm!!! In dieser Zeit sollten sie nämlich mindestens 18 Pausen gemacht haben, wenn man aktuellen Empfehlungen (TCO, 2008) folgt….
(Wie kann man das Letzte an Leistung aus den Beschäftigten herauspressen? Monotonie von Arbeitsabläufen macht müde, dagegen hilft helles, blaues Licht??)
Je höher der Blauanteil einer Lichtquelle ist, um so problematischer wird das Sehen für Brillenträger, da die vor das Auge geschaltete Optik wie ein Prisma wirkt, das das Licht in seine Bestandteile aufspaltet: Dabei kommt es vermehrt zu Farbsäumen, das sind blaue „Schatten“, die das scharfe Sehen erheblich erschweren. Ein Brillenträger wird daher durch eine starre Kopfhaltung unbewusst versuchen, das Entstehen dieser Farbsäume zu verhindern, was im nur gelingt, wenn er durch die Mitte der Brillengläser blickt. Hier wird deutlich, dass sich für Brillenträger das Problem des exzessiven fokussierten Sehens, das weiter oben beschrieben ist, noch durch eine starre Kopfhaltung verstärkt, so dass hier nicht nur die verschiedenen Augenmuskeln, sondern auch noch die Nacken- und Schultermuskulatur in Mitleidenschaft gezogen werden. Diese Effekte steigen mit dem Blauanteil!
Man fragt sich übrigens, wie die neuesten, in diesem Jahr publizierten Erkenntnisse in die Lichtdoping-Forschungen der Basler Chronobiologen einfließen, die nämlich zeigen, dass Migräne-Patienten gerade nicht von einer Erhöhung des Blauanteils im Licht profitieren: Blaues Licht verstärkt bei Migräne-Patienten über den selben Signalweg, der für die Anregung durch Licht (intrinsisch photoreaktive Ganglienzellen der Netzhaut, retino-hypothalamischer Trakt, Zwischenhirn…) verantwortlich ist, die Schmerzen und die Schwere des Anfalls! (Wikipedia: Die Migräne (von griech. ἡμικρανίον, hemikranion, hemikrania „halber Schädel“) ist eine neurologische Erkrankung, unter der etwa 10 % der Bevölkerung leiden.)
Bildschirmarbeit ist Stress – das ist auch, was die Versuchspersonen subjektiv empfinden: das Arbeiten an Bildschirmen mit künstlich erhöhtem Blauanteil ist unangenehm, besonders nach längerem Arbeiten. Die Stuttgarter Forscher wollen daher versuchen, die hohen Blauanteile durch Beimischung anderer Farben zu maskieren, damit der Anwender den Blauanteil nicht mehr wahrnimmt. Dies geht allerdings mit einer Erhöhung der Leuchtdichte einher, wodurch die Netzhaut des Auges weiter belastet wird, denn mehr Licht bedeutet immer auch eine Erhöhung der Stoffwechselanforderung in dieser delikaten Stelle unseres Körpers.
Wenn man dem Stuttgarter Ingenieur der Fraunhofer-Gesellschaft übrigens aufmerksam zuhört, kann man lernen, dass moderne Bildschirme sowieso schon einen erhöhten Blauanteil aufweisen! Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie man diesen abschwächen kann, denkt der Techniker immer nur im Sinne einer Optimierung – länger, höher, weiter etc.
Dieses Maximierungsdenken ist jedoch im Sinne einer gesunden Lebensführung problematisch, denn wie maximiert man den goldenen Mittelweg?
Anzustreben ist, dass besonderer Stress durch eine gleichwertige Erholungsphase kompensiert wird (also z.B. Pausen von der Bildschirmarbeit) – wie bei einem Pendel, das in beide Richtungen gleich weit ausschlagen sollte, damit das Uhrwerk harmonisch läuft. Je weiter das Pendel sich jedoch bewegen muss, umso größer werden damit Reibung und auch Verschleiß…(=je stärker die Anregung, desto wichtiger die wirkungsvolle Erholung!). In antagonistischen Systemen ist es daher besser, die Koordination der Gegenspieler zu optimieren, anstatt zu versuchen, die Schwachen dadurch zu stärken, dass man die Starken schwächt…
Was tun die Forscher (denn sie wissen nicht, was sie tun?) zur Förderung der Pausen, zur Optimierung der Regeneration, zur Reduktion von Stress?
Noch immer scheint es das oberste Ziel zu sein, den Menschen an die Maschinenwelt anzupassen anstatt umgekehrt.