Mit Röntgenstrahlen gegen Makuladegeneration | NDR.de – Ratgeber – Gesundheit.
Da frage ich mich doch, ob präventive Maßnahmen nicht besser wären…
Ok, das ist eigentlich eine rhetorische Frage, natürlich ist vorsorgen besser als heilen, schon klar…
Solange aber mögliche Ursachen außer Acht gelassen werden, ist es oft schwierig, die richtigen Präventivmaßnahmen zu ergreifen: Bis heute sind die meisten (Augen-)Ärzte davon überzeugt, dass Kunstlicht zu schwach ist, um die Netzhaut schädigen zu können. Nur Sonnenlicht sei stark genug, um an der Entstehung der Makuladegeneration beteiligt sein zu können, neben genetischen und weiteren unbekannten Faktoren bzw. Stoffwechselstörungen. Daraus folgt, dass Schutzmaßnahmen gegenüber Kunstlicht aus Sicht dieser Experten überflüssig sind. (Mir ist sogar ein Fall bekannt, wo ein namhafter Professor und Chefarzt einer Augenklinik einen Patienten (Angestellter bei einer großen Computerfirma) mit früh eingetretener Makuladegeneration (mit 40 Jahren) auf die Frage, ob das denn mit der vielen Bildschirmarbeit zusammenhängen könne, erbost hinausgeworfen hat, und zwar mit den Worten, er müsse sich in seiner Position solch hanebüchenen Unsinn nicht anhören…)
Seit ca. 40 Jahren erkennt man jedoch immer klarer, dass bestimmte Lichtanteile, die die Netzhaut erreichen, wesentlich aggressiver sind als andere: Blaues, indigofarbenes und violettes Licht am kurzwelligen Ende des Regenbogenspektrums haben genügend Energie, um in den Zellen der Netzhaut so genannte Sauerstoffradikale zu erzeugen. Dabei handelt es sich um sehr aggressive Moleküle, die empfindliche Zellbestandteile, z.B. Zellmembranen oder Mitochondrien, nachhaltig zu schädigen. Wenn der Schaden reparabel ist, benötigt die betroffene Zelle in jedem Fall mehr Energie, um die Reparaturvorgänge durchzuführen.
Bis heute relativ gut erforscht sind die Blaulichtschäden, die man auch durch Kunstlicht erzeugen kann – allerdings beziehen sich die Erkenntnisse auf Zell- oder Tierversuche und können daher nicht direkt auf den Menschen übertragen werden. Bei den Blaulichtschäden (Blue Light Hazard) werden allerdings meistens die akuten Schäden betrachtet, die bei starkem Licht auftreten können. Hier wird sich die zukünftige Forschung auch vermehrt den chronischen Blaulichtschäden der Netzhaut zuwenden müssen, die vermutlich bei wesentlich geringeren Lichtstärken auftreten können. Neuere Untersuchungen diskutieren sogar, ob die Schwellenwerte, die man bisher als sicher gehalten hatte, nicht um den Faktor 10 bis 100!!! zu großzügig angesetzt waren…
Was noch kaum erforscht ist, ist die Balance zwischen schädigenden Blaulichtanteilen und den langwelligen Anteilen im Rot und Nahinfrarotbereich, die in der Lage sind, die Reparaturvorgänge zu beschleunigen. Im Sonnenlicht (und Glühlicht) sind kurzwellige und langwellige Spektralanteile gut ausbalanciert, sodass für jedes kurzwellige Lichtquant auch langwellige Lichtquanten vorhanden sind, die dessen negative Wirkungen in gewissem Umfang ausgleichen können.
Moderne Lichtquellen (Entladungslampen, Weißlicht-LEDs) weisen kein balanciertes Spektrum auf: Die kurzwelligen Anteile sind stärker vorhanden, wohingegen langwelliges Rot und Nahinfrarotstrahlung fehlen. Damit verschiebt sich das Gleichgewicht in Richtung oxidativer Zellschädigung, ohne dass dem im regenerativen Bereich etwas entgegenstünde. Wenn die Zellschädigung verstärkt wird und gleichzeitig die Reparatur und Regeneration behindert werden, so bedeutet dies eine Weichenstellung in Richtung DEGENERATION.
Nicht-thermische Lichtquellen (Entladungslampen, Weißlicht-LEDs) weisen also Eigenschaften auf, die zumindest theoretisch die Entstehung der Makuladegeneration fördern können, da sie den Zellstress erhöhen und die Reparaturvorgänge behindern. Da es sich um einen Einfluss handelt, der (z.B. am Arbeitsplatz) viele Stunden täglich zur Wirkung kommt, muss man, will man wissenschaftlich korrekt vorgehen, auch nicht-thermische Kunstlichtquellen wie Leuchtstofflampen, LEDs und Hintergrundbeleuchtungen von Bildschirmen als mögliche Risikofaktoren für eine beschleunigte Entwicklung degenerativer Veränderungen der Netzhaut mit einbeziehen.
Epidemiologisch ist es ziemlich schwierig, einen pathogenen Faktor zu identifizieren, der praktisch alle untersuchten Menschen in einem Kollektiv gleichermaßen betrifft, so wie das für Kunstlicht eben gilt. Auch ist es epidemiologisch natürlich nicht einwandfrei, aus einem vermehrten Auftreten einer Erkrankung auf eine einzige Ursache schließen zu wollen. Allerdings haben neueste Untersuchungen zutage gefördert, dass das Eintrittsalter für die Makuladegeneration immer niedriger wird. Nannte man die Erkrankung früher ALTERSBEDINGTE Makuladegeneration (AMD), weil sie meistens bei älteren Menschen auftrat, so ist diese Bezeichnung in immer mehr Fällen heute nicht mehr zutreffend, da auch jüngere Patienten davon betroffen sind. Dabei handelt es sich dann um Bevölkerungsgruppen, die bereits im Kindergarten und in der Schule mit nicht-thermischem Licht konfrontiert waren…
Wer also auf wissenschaftliche Evidenz warten möchte, der kann sich mit der Prävention sicher noch etwas Zeit lassen. Wem hingegen die bereits vorliegenden Erkenntnisse reichen, um eine mögliche Netzhautschädigung durch blaues/kurzwelliges Licht in Betracht zu ziehen (auch wenn dieses nicht von der Sonne, sondern von Kunstlichtquellen mit sehr unnatürlicher Spektralverteilung stammt), kann sofort präventiv tätig werden, indem er z.B. am Bildschirm und am Fernsehgerät den Blauanteil reduziert, im Privathaushalt weiter Glühlampen (und keine LEDs!) einsetzt und in Situationen, wo er keinen Einfluss auf die Art des verwendeten Kunstlichts nehmen kann, eine gelb getönte Blaulicht-Schutzbrille trägt.